Der Libanon gilt im Hinblick auf die aktuelle Lage in Syrien als eine Art „Mikrokosmos“ seines großen Nachbarlandes. Durch die enge historische, wirtschaftliche und politische Verwicklungen beider Staaten, hat der syrische Bürgerkrieg auch enorme Auswirkungen auf den Zedernstaat. Immer deutlicher treten konfessionelle Gegensätze zutage, große Teile der Bevölkerung positionieren sich zusehends für und gegen eine der jeweiligen Seiten.
Vor allem in der Hauptstadt Beirut erkennt man eine Art „Kleinkrieg“ von Streetart-Aktivisten, die je nach unterschiedlicher Sichtweise Stellung zum Arabischen Frühling nehmen. Andernorts versucht man auf andere Art und Weise seine politische Haltung zu präsentieren.
Fabian Schmidmeier hat sich in Beirut und der Bekaa-Ebene umgesehen, wie sich Konfessionalismus und Arabischer Frühling auf der Straße bemerkbar machen.
Die Ereignisse des Arabischen Frühlings wirken sich immer intensiver auf den Libanon aus. Wegen seiner konfessionellen Vielfalt und Gegensätze wird der kleine Staat immer mehr zum Pulverfass, wo nur ein kleiner Funke reicht, um das Land ins Chaos zu stürzen.
Die libanesische Streetartszene ist seit dem Ausbruch der Revolutionen in der Arabischen Welt hoch politisiert. Oft treffen sie mit Künstlern aus anderen arabischen Ländern zusammen und hinterlassen an den Wänden eindrucksvolle Graffitis. Hier solidarisiert sich der Sprayer mit der Revolution gegen Mubarak: „Erhebe dein Haupt, du bist Ägypter“. Foto: Fabian Schmidmeier
„Ich liebe Dich, Ägypten“ steht hier auf eine Mauer in der Nähe des zentralen Bushanhofes an der Straße Charles Helou in Beirut Downtown gesprüht. Foto: Fabian Schmidmeier
Ein Kennzeichen des Zederstaates ist die Vielzahl an Religionen und Konfessionen. Während große Teile des Nordens sunnitisch sind, sind der Süden und die Bekaa-Ebene mehrheitlich schiitisch. Vor allem wegen der Auseinandersetzungen mit Israel ist der Konfessionalismus hoch politisiert. Die Präsenz der schiitischen Hisbollah sticht vor allem in der Bekaa-Ebene besonders ins Auge. Foto: Fabian Schmidmeier
„Ya Hussein“ steht auf einer Flagge im Ort Laboueh in der Bekaa-Ebene. Dieser Ausbruch erinnert an die Schlacht (680) bei Kerbala, wo Hussein, der Sohn des Kalifen Ali, bei einer Schlacht den Märtyrertod starb. Mit dem Auspruch „Oh Hussein“ drücken die Schiiten ihre Opferbereitschaft aus. Foto: Fabian Schmidmeier
In den schiitischen Vororten von Süd-Beirut, im Süd-Libanon und der Bekaa-Ebene sieht man an zahlreichen Hauswänden das Konterfei von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und Märtyrer aus dem Krieg gegen Israel im Jahr 2006, der von den Anhängern der Hisbollah als Sieg gefeiert wird. Foto: Fabian Schmidmeier
Vor allem hinsichtlich des syrischen Bürgerkrieges ist die libanesische Bevölkerung hoch politisiert und tief gespalten. Während die Sunniten überwiegend die Revolution unterstützen, hat Assad einen Großteil der Schiiten auf seiner Seite. „Gemeinsam bis zur Befreiung“. Zu sehen sind der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und der syrische Diktator Baschar al-Assad. Die Hisbollah steht hinter dem Regime und unterstützt es mit Tausenden Kämpfern, wie zum Beispiel in der Grenzstadt al-Qusayr, das direkt die schiitischen Siedlungsgebiete in der Bekaa-Ebene grenzt. Hassan Nasrallah erklärte am 25. Mai in einer Rede, dass er Baschar al-Assad mit Kämpfern seiner Miliz „bis zum Sieg“ unterstützen werde. Gemeinsam mit regimetreuen Truppen legte die Hisbollah al-Qusayr in Schutt und Asche. Foto: Fabian Schmidmeier
Sayyida Bint Hussein, die Tochter des Märtyrers, liegt hier begraben. Für die Schiiten der Region ist der Schrein ein beliebtes Wallfahrtsziel. Seit der Offensive der Hisbollah in Qusayr eskaliert auch die Lage in der Region um Baalbek immer mehr. So wurde dieser Schrein am 1. Juni Ziel von Schüssen sunnitischer Angreifer und am Checkpoint el-Arsel, unweit der Stadt, töteten syrische Rebellen vier libanesische Soldaten. Kämpfer der Freien Syrischen Armee feuerten seit den Kämpfen um al-Qusayr bereits Dutzende Raketen auf Baalbek und die Bekaa-Ebene. Foto: Fabian Schmidmeier
Eingang zum palästinensischen Flüchtlingslager Wavel in Baalbek. Im Vordergrund wehen schwarze Flaggen des Islamischen Jihad, einer Organisation, die massiv aus dem Iran unterstützt wird. Neben dem Eingang sieht man ein Plakat mit dem Gesicht von Ahmad Jassin, dem Gründer der Hamas. Während die Hamas anfangs durch Assad unterstütz wurde, stellte sie sich mit dem Beginn des Arabischen Frühlings auf die Seite der Opposition. Die Palästinenser sind in der Frage der Unterstützung des Aufstandes gespalten. Foto: Fabian Schmidmeier
In allen Städten des Libanon gibt es einen Trend dahingehend, dass sich die jeweiligen Konfessionen und Religionen öffentlich positionieren. Während die Schiiten mehrheitlich hinter Baschar al-Assad stehen, sind die meisten Sunniten Anhänger der Revolution. Hier in Baalbek, das in der schiitisch dominierten Bekaa-Ebene unweit der syrischen Grenze liegt, weht über einem Haus mit sunnitischem Besitzer eine Fahne mit islamischem Glaubensbekenntnis, das vor allem bei strenggläubigen Sunniten benutzt wird. Foto: Fabian Schmidmeier
Wehende schwarze Flaggen mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Vor allem in Tripolis und orthodox-sunnitischen Gebieten sieht man diese Flaggen wehen. Sie werden vor allem von Anhängern salafistischer Prediger verwendet. Auch salafistische Milizen wie Jabhat al-Nusra in Syrien greifen auf die „Flag of Tawheed“ (Flagge der Einzigkeit Gottes) zurück. Foto: Fabian Schmidmeier
„ Beirut bleibt die erste Verteidigungslinie zur Verteidigung Syriens und des Widerstands [Anm. gegen Israel]“ Dieses Graffiti stammt von Anhängern der rechtsextremen Syrischen Sozial-Nationalistischen Partei. Diese sieht den Libanon als Teil von Groß-Syrien und unterstützt das Regime von Baschar al-Assad. Die grünen Überreste stammen hingegen von Gegnern Assads. Gegner und Befürworter des syrischen Regimes liefern sich in Beirut einen regelrechten „Graffiti-Krieg“. Foto: Fabian Schmidmeier
„Syrien gehört Assad“ steht über einer übersprühten Fahne der syrischen Opposition. In allen Stadtteilen findet man Parolen der jeweiligen Seiten an die Wände gesprüht. Foto: Fabian Schmidmeier
In Bourj el-Barajne, einer Hochburg der Hisbollah, findet man vor allem Graffitis von Streetartaktivisten, die hinter der Hisbollah und dem Assad-Regime stehen. Foto: Fabian Schmidmeier
Ganz anders hingegend bei den Vierteln, die an Downtown grenzen und mehrheitlich sunnitisch sind. Dieses Schablonen-Graffiti zeigt das Konterfei von Abdel Basit Sarut, früher Nationaltorwart der U-21-Mannschaft, 21 jährige Ikone der Revolutionsbewegung aus Homs. Dieser trat zusammen mit der Alawitin Fadwa Suleiman bei Demonstrationen gegen das Regime auf und prägte die Bewegung mit Liedern (z.B. Jannah Song), die er selbst aufnahm. Er steht den Rebellen der al-Farouq-Brigaden aus Homs nahe. Foto: Fabian Schmidmeier
Im sunnitischen Stadtteil Ain Mreisseh findet man die Farben der Syrischen Revolution. Dort befinden sich zahlreiche der inzwischen bis zu 1 Million Flüchtlinge aus dem Libanon.
„2011 wollte das Volk das Leben/ 2012 muss es das Schicksal gewähren“ Dieser Slogan spricht auf das Gedicht „Der Wille zum Leben“ des tunesischen Dichters Abu al-Qasim al-Shabi auf den Freiheitswillen der Völker an. Darunter steht „Freies Syrien“. Die pro-revolutionären Streetart-Aktivisten sind der Ansicht, dass selbst die brutalste Militärgewalt den Freiheitswillen eines Volkes nicht zu stoppen vermag. Foto: Fabian Schmidmeier
Wegen des hohen Blutzolls auf beiden Seiten sind große Teile der Bevölkerung des Libanon und Syriens die Kämpfe leid. Sie sehnen sich nach Frieden und einem Ende des Bürgerkrieges. Foto: Fabian Schmidmeier
Die Zukunft des Libanon ist ungewiss. Wird das Chaos einziehen oder werden die Menschen ein Maß an Stabilität aufrecht erhalten können? Auch die zukünftige Staatsform scheint seit einer tiefen Regierungskrise fraglich. Wegen dem Bürgerkrieg in Syrien haben sich viele Menschen auch religiös radikalisiert. Dieser Streeart-Aktivist fordert mit „denke libanesisch, denke säkular“ eine strikte Trennung von Staat und Religion. Foto: Fabian Schmidmeier
„Aufstand der Frau in der arabischen Welt“ Obwohl Positionen zum syrischen Bürgerkrieg überwiegen, finden sich auch Graffitis und Parolen zu anderen politischen Themen. Während der Demonstrationen des Arabischen Frühlings kam es zu brutalen Übergriffen auf Frauen. Seither ist das Thema Frauenrechte stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Dieses Graffiti spielt auf die Frauenbewegung in der arabischen Welt an. Es soll gleichzeitig die Silhouette einer Frau und die Umrisse der arabischen Staaten zeigen. Der Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen wird hier als panarabisches Anliegen dargestellt. Foto: Fabian Schmidmeier
Gleichstellung und sexuelle Gewalt sind in der arabischen Welt heikle Themen. Vor allem säkulare Aktivisten bemühen sich seit den letzten zwei Jahren verstärkt dieses Thema verstärkt politisch zu thematisieren. Foto: Fabian Schmidmeier